Diskretion machte Marc Rich zum wohl reichsten Ölhändler der Welt und zum langjährigen Herrscher über Glencore, eines der mächtigsten Rohstoff-Imperien der Welt. Das Porträt eines umstrittenen Mannes.
Von Daniel Ammann
Wir hatten uns an der Talstation der Sesselbahn Suvretta in Sankt Moritz verabredet. Es war einer der kältesten Tage des Winters, acht Uhr morgens, kurz vor Weihnachten. Bevor ich losfahren konnte, musste ich eine dicke Eisschicht von den Wagenscheiben kratzen. Das Thermometer zeigte minus 22 Grad Celsius an. “Bitte”, flehte ich, als ich den Zündschlüssel drehte.
Zu spät kommen kam nicht infrage. Der Mann, den ich in einer halben Stunde treffen sollte, hasst wenig so sehr wie Verspätungen. So viel wusste ich bereits. Als ich ihn einmal auf seine Scheidung angesprochen hatte, beklagte er sich über seine Ex-Frau: “Sie kam immer zu spät. Immer.” Es klang todernst.
So stand ich an diesem eiskalten Dezembermorgen allein auf dem menschenleeren Parkplatz der Sesselbahn und wartete. Punkt halb neun fuhr ein grüner Wagen vor. Es war keiner der in dem schweizerischen Kurort so angesagten Jeeps. Aus einem unauffälligen, fast schäbigen Subaru Legacy, der schon einige Jahre alt war, stieg der wohl reichste und mächtigste Erdöl-Händler des 20. Jahrhunderts: Marc Rich.
Das unscheinbare Auftreten hat einen Grund: Diskretion ist eines der wichtigsten Prinzipien im Leben von Marc Rich. Sie machte ihn reich – und rettete seine Freiheit.
Kein Rohstoffhändler vor ihm und keiner nach ihm war derart erfolgreich wie der Mann mit dem Namen, der klingt, als wäre er ein Pseudonym. Keiner löst vergleichbare Emotionen aus wie der Gründer von Glencore, dem Konzern, der vor Kurzem an die Börse ging. Freunde und Mitarbeiter bewundern Rich als Pionier der Globalisierung, der den internationalen Handel revolutioniert hätte. Feinde verachten ihn als skrupellosen Profiteur, der seine Großmutter verkaufte, wenn nur genug Geld geboten würde. An ihm, wetterte ein Politiker der Schweizer Grünen einst, klebten “das Blut, der Schweiß und die Tränen der Dritten Welt”.
Wer sich allerdings die Mühe macht, unvoreingenommen hinzuschauen, sieht auch eine der schillerndsten Karrieren des 20. Jahrhunderts: ein Leben voller Widersprüche, das sich Vereinfachungen entzieht.
Seine Spezialität: heikle Ware von heiklen Verkäufern an heikle Käufer zu liefern
Man übertreibt nicht, wenn man Marc Rich den verschwiegendsten Händler der Welt nennt – und das in einer Branche, die die Öffentlichkeit ohnehin scheut wie der Vampir das Tageslicht. Jahrelang sah man nicht einmal eine Fotografie von ihm. Die Medien mussten sich mit Zeichnungen behelfen, wenn sie über ihn berichteten. Journalisten verweigerte er sich eisern. Das letzte Interview hatte er gegeben, als die Berliner Mauer noch stand. Und natürlich veröffentlichte seine Firma nie irgendwelche Geschäftszahlen.
Richs Erfolgsgeheimnis war gerade seine Verschwiegenheit, ohne die viele seiner Geschäfte nicht möglich gewesen wären. Seine Spezialität war es, heikle Ware von heiklen Verkäufern an heikle Käufer zu liefern – und kein Wort darüber zu verlieren. “Wir zogen es vor, verschwiegen und verschlossen zu sein”, sagt Rich. “Das war ein geschäftlicher Vorteil. Und unseren Geschäftspartnern passte das auch gut.”
Rich wurde zum Milliardär, indem er mit jedem Handel trieb, der mit ihm Handel treiben wollte: mit Diktatoren aller Couleur wie Rumäniens Nicolae Ceaus¸escu, Chiles Augusto Pinochet oder Kubas Fidel Castro; mit korrupten Regimes von Angola bis Zaire; mit iranischen Mullahs und spanischen Faschisten – und besonders häufig mit Staaten, die von den Vereinten Nationen oder einzelnen Regierungen boykottiert wurden. Denn Länder wie Südafrika, Iran oder Kuba waren gern bereit, Rich eine fette Risikoprämie zu bezahlen, wenn er dafür heimlich ihre Nachfrage decken konnte – erst recht für einen so dringend benötigten Rohstoff wie Erdöl.
Mit mir sprach der Mann, der heute 76 Jahre alt ist, zum ersten Mal detailliert über seine umstrittenen Geschäfte und über sein Leben.* Als ich ihn in St. Moritz in der Sesselbahn fragte, wieso er sich im Herbst seines Lebens einem Journalisten offenbarte, lächelte er das Lächeln einer Sphinx und sagte nach einer kurzen Pause: “Age and maturity”, Alter und Reife.
Marc Rich wurde 1934 als Marcell David Reich, als Sohn deutschsprachiger Juden in Antwerpen geboren. Die Familie flüchtete an dem Tag aus Belgien, als die Wehrmacht das Land überfiel. “Ich sah noch die deutschen Kampfflugzeuge, die angriffen. Ich hörte ihre Bomben”, erzählt er. Der deutsche Überfall und die hastige Flucht seien seine ersten bewussten Erinnerungen.
Praktisch mittellos emigrierte die Familie Reich in die USA. Marcell Reich nannte sich fortan Marc Rich, fing in der Poststelle eines Handelshauses an zu arbeiten und wurde zum “King of Oil”, wie ihn einer seiner langjährigen Geschäftspartner nennt. Zu ihren besten Zeiten verkaufte seine Firma, die er 1974 unter dem Namen Marc Rich + Co AG in der Schweiz gegründet hatte, täglich mehr Erdöl, als das Emirat Kuwait förderte. Er lebte ein Leben wie aus einem Thriller, finanzierte Aktionen des israelischen Geheimdienstes Mossad und wurde von der amerikanischen Regierung 17 Jahre lang auf der ganzen Welt als Landesverräter gejagt.
Rich stieg, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, vom Flüchtlingsjungen zum milliardenschweren Tycoon auf. In den siebziger Jahren bot er mit seiner Firma dem Kartell der damals dominierenden Seven Sisters, der sieben größten Ölkonzerne (darunter Esso, BP, Texaco), die Stirn. Deren Vorherrschaft basierte auf langfristigen Verträgen mit den Produzenten zu fixen Preisen. Doch Rich hatte verstanden, dass die erdölreichen Länder mit diesen Deals zunehmend unzufrieden waren und mehr Geld für ihre Bodenschätze forderten. Und um die Dominanz der Multis zu brechen, brauchten sie einen unabhängigen Händler, der das Öl für sie diskret auf dem Weltmarkt verkauft. Dieser Händler war Marc Rich. Als Partner der Produzenten zerschlug er das Kartell der Konzerne.
“Ich war die richtige Person zur richtigen Zeit”, erinnert er sich. “Die Welt brauchte plötzlich ein neues System, um Erdöl von den produzierenden Ländern zu den Konsumenten zu bringen.” Das war exakt, was er tat: Er revolutionierte den Handel und legte den Grundstein für den sogenannten Spotmarkt, auf dem man Erdöl unabhängig von Konzernen und Ölscheichs zum Tagespreis kaufen und verkaufen konnte.
Es war ein streng geheimes Projekt, das es dem Newcomer erlaubte, in den Ölhandel gleich im großen Stil einzusteigen: In Israel wurde 1968 eine Erdöl-Pipeline in Betrieb genommen, die von Eilat am Roten Meer nach Aschkelon am Mittelmeer führt. Sie war, wenngleich sie nur israelisches Gebiet durchkreuzte, ein Joint Venture zwischen dem Schah von Persien und Israel. Tanker aus dem heutigen Iran lieferten das Öl nach Eilat, von wo aus es ans Mittelmeer gepumpt wurde. Bis heute wird die iranische Beteiligung daran als Staatsgeheimnis gehütet. Offiziell unterhielt Persien, wie Iran damals hieß, keine diplomatischen Beziehungen zu Israel und verkaufte dem jüdischen Staat kein Öl.
Es gab weder Freunde noch Feinde nur Geschäftspartner
Schah Mohammad Reza Pahlavi aber wollte sein Land zur dominierenden Ölmacht der Region machen. Als ihm die israelische Außenministerin Golda Meir Mitte der sechziger Jahre in geheimen Gesprächen vorschlug, gemeinsam eine Pipeline zu bauen, ergriff er die Chance. Die Erdölleitung war, was die Spieltheorie eine Win-Win-Situation nennt: eine Lösung, von der alle Beteiligten profitieren. Dank ihrer gelang es dem Schah, langsam die Konzerne auszustechen. Zum ersten Mal konnte sein Land Öl frei auf dem Weltmarkt verkaufen. Israel wiederum löste damit sein größtes strategisches Problem: die Versorgung mit Erdöl, die dem Land von den arabischen Nachbarn verwehrt wurde.
Die Pipeline wurde im Dezember 1969 in Betrieb genommen – für Rich war sie der Durchbruch als Händler. Ohne sie ist sein Aufstieg nicht zu verstehen. Im Geheimen wurde er gefragt, ob er iranisches Öl kaufen würde und dafür Käufer suchen könnte. “Potenzielle Kunden zögerten, weil das Erdöl durch Israel transportiert wurde”, sagt Rich. Wer offiziell mit dem jüdischen Staat Geschäfte machte, ging das Risiko ein, von den arabischen Ländern boykottiert zu werden.
Doch Rich hatte einen großen Vorteil: Er konnte die Ware deutlich billiger anbieten als die Konkurrenz. Denn seit dem Sechstagekrieg im Jahr 1967 hielt Ägypten den Suez-Kanal geschlossen. “Es war aber bedeutend billiger, das iranische Erdöl durch die Pipeline fließen zu lassen, als es um ganz Afrika herumzuschiffen”, sagt Rich. Eine Tonne Öl aus Iran kostete in Aschkelon etwas mehr als 21 Dollar. Musste man sie um das Kap der Guten Hoffnung herum ins Mittelmeer verschiffen, stieg ihr Preis auf 28 Dollar. Dafür vergaß so mancher Kunde, dass das Öl aus einem israelischen Hafen stammte.
Kaum war der lukrative Handel richtig angelaufen, versiegte diese Geldquelle auch schon: Im Februar 1979 wurde Schah Pahlavi gestürzt – und Rich verlor seinen wichtigsten Lieferanten. So schien es jedenfalls. Doch kurz nach der islamischen Revolution in Iran bahnte sich eine erstaunliche Partnerschaft an: Das antisemitische, antikapitalistische und antiamerikanische Regime von Ajatollah Khomeini kam mit dem jüdischen, kapitalistischen Amerikaner Rich ins Geschäft.
“Die Iraner hielten die Verträge ein”, erzählt er. Die Iranian National Oil Company verkaufte weiterhin acht bis zehn Millionen Tonnen Öl pro Jahr an die Marc Rich + Co – genau so, wie es zuvor unter dem Schah vereinbart worden war: “Wir kauften das Öl, wir organisierten den Transport, und wir verkauften es. Allein konnten die Iraner das nicht, wir aber waren dazu fähig.” Die erfahrenen Manager der iranischen Ölindustrie waren nämlich nach der Revolution aus dem Land geflüchtet. Dieses Beispiel zeigt: Die erfolgreichsten Händler sind nicht in erster Linie die Spekulanten, sondern die verschwiegenen Dienstleister.
Der Sturz des Schahs traf einen Kunden härter als alle anderen: Israel. Dank der Pipeline und der Kooperation mit Persien hatte der jüdische Staat zwischen 60 und 90 Prozent seines Öls aus Iran importiert. Das neue Regime fügte nun in alle Verträge eine Klausel ein, die den Weiterverkauf iranischen Öls an Israel ausdrücklich verbot.
Die Rettung kam in der Person von Marc Rich. “Israel schuldet ihm großen Dank. Er versorgte das Land in den schwierigsten Zeiten mit Öl”, sagt Avner Azulay, ein ehemaliger Oberst der israelischen Armee und Mossad-Agent. Rich wurde zum wichtigsten Lieferanten des jüdischen Staates. Er deckte zwischen 20 und 40 Prozent von dessen Bedarf. Das war für Rich das vielleicht beste Geschäft: Er verdiente viel Geld und half gleichzeitig, das Überleben Israels zu sichern. “Als Jude hatte ich nichts dagegen, Israel zu helfen, ganz im Gegenteil.”
Pikant daran: Es war ausgerechnet iranisches Öl, mit dem er Israel versorgte. Offiziell sprach die neue iranische Regierung dem jüdischen Staat das Existenzrecht ab. Inoffiziell aber wussten die Verantwortlichen von Richs Geschäften mit Israel. “Es war ihnen egal, sie wollten einfach ihr Öl verkaufen”, sagt er.
Dies zeigt seine Geschichte auch: Wenn es um Rohstoffe geht, ist vieles nicht so, wie es scheint. Wenn es um nationale Interessen geht, zählen weder Moral noch Ideologie.
Marc Rich schaffte es in seiner Karriere immer wieder, Geschäftspartner zusammenzubringen, die öffentlich behaupteten, keine Beziehungen miteinander zu unterhalten. Die Sowjetunion oder Saudi-Arabien zum Beispiel belieferten via Rich heimlich Südafrika mit Öl – obwohl sie das Regime offiziell boykottierten. Seine Firma wurde zum wichtigsten Lieferanten des international geächteten Apartheidstaates. Sie versorgte Südafrika zwischen 1979 und 1994 mit rund 400 Millionen Barrel – und machte allein mit diesen Geschäften einen Gewinn von gut zwei Milliarden Dollar.
Nicaragua unter Daniel Ortegas Sandinisten wiederum ließ Öl, das es von sozialistischen Bruderstaaten wie Libyen oder Algerien aus Solidarität zu günstigen Konditionen erhalten hatte, im Geheimen durch Rich gleich wieder auf dem Weltmarkt verkaufen. “Ich wollte ihr Öl, sie brauchten das Geld”, sagt ein früherer Mitarbeiter, der in den achtziger Jahren an diesem Geschäft beteiligt war. Eine paradoxe Situation: Während die Linke in Europa Marc Rich als Ausbeuter der Dritten Welt an den Pranger stellte, sicherte er den Sandinisten das finanzielle Überleben.
“Für den Erfolg solcher Geschäfte ist Diskretion entscheidend”, sagt Marc Rich. Er sitzt in seiner herrschaftlichen Villa, direkt am Ufer des Vierwaldstättersees gelegen. Er lebt umgeben von kubistischer Kunst von großem Wert: Ein Werk von Fernand Léger hängt an der Wand, eines von Georges Braque und, ganz neu gekauft, eines von Pablo Picasso. Aus kleinen Lautsprechern an der Decke läuft ein Klavierstück von Johann Sebastian Bach, interpretiert von Glenn Gould.
Auf die Frage, ob man wirklich neutral bleiben könne, wenn man mit Diktatoren, Rassisten und korrupten Regimes Handel treibt, antwortet er: ” Ja, Business ist neutral. Sie können eine Handelsgesellschaft nicht aufgrund von Sympathien führen.”
Rich wollte in seinem Leben vor allem eines: Geld verdienen. “To make money” ist ein Satz, den er immer wieder ausspricht, wenn er über seine eigenen oder die Motive anderer spricht. Geld als Antrieb. Geld als Mittel für den sozialen Aufstieg. Geld als Maßstab für den Erfolg. “Ehrgeiz”, sagt er, “mich treibt, wie die meisten Menschen, Ehrgeiz an. Die Menschheit kam durch Ehrgeiz voran. Einige wollten höher klettern oder schneller rennen, andere wollten fliegen oder tauchen. Ich wollte Erfolg im Geschäft haben.” Doch diesen Erfolg gab es nur zum Preis des familiären Glücks, wie er unumwunden zugibt: “Privat scheiterte ich”, sagt er, “ich bin zweimal geschieden.”
Anfang der achtziger Jahre war er auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Einflusses. Er war dank des Iran-Geschäftes einer der größten unabhängigen Rohstoffhändler der Welt. Wer damals Erdöl kaufen wollte, kam an ihm nicht vorbei. Seine Firma handelte mit allen Rohstoffen von Aluminium, Blei, Kupfer bis Zink und machte einen Umsatz, der größer war als das Bruttoinlandsprodukt von vielen Ländern, mit denen sie in Verbindung stand.
Doch auf dem Gipfel kam der Fall. Es war das Iran-Geschäft, über das Rich stürzte. Die USA hatten 1979 gegen das Land ein Öl-Embargo verhängt, nachdem Diplomaten in Teheran als Geiseln genommen worden waren.
Rudolph Giuliani, der Bundesstaatsanwalt und spätere Bürgermeister von New York, klagte Rich 1983 wegen “Handels mit dem Feind” und wegen Umgehung der Ölpreiskontrollen an. Giuliani, der seine politische Karriere auf schlagzeilenträchtigen Fällen aufbaute, bezeichnete den Fall als den “größten Steuerbetrug in der Geschichte” der USA.
Rich, der bis heute seine Unschuld beteuert, setzte sich noch vor der Anklageerhebung in die Schweiz ab und kehrte nie wieder in die USA zurück – nicht einmal 1996, als seine an Leukämie erkrankte Tochter in Seattle im Sterben lag. Ob seine Geschäfte rechtmäßig waren oder nicht, konnte so nie von einem Gericht geklärt werden. Nach Schweizer Recht waren sie nicht strafbar, darum lieferte die Schweiz ihn auch nicht aus.
Giuliani ließ Rich auf die Liste der meist gesuchten Verbrecher setzen und ihn von amerikanischen Agenten um die ganze Welt verfolgen. 17 Jahre lang versuchte das mächtigste Land der Welt, den Mann zu fassen. Vergeblich. “Ich war sehr vorsichtig”, sagt er lakonisch, “und so bekam ich mit, dass sie es ein paar Mal auf mich abgesehen hatten.” Im Herbst 1984 reisten US-Agenten sogar in die Schweiz, um ihn zu entführen – und flogen auf. Es war nur einer von vielen Fehlschlägen.
Von Agenten gejagt, vom Geheimdienst geschützt – von Managern gestürzt
“Marc Rich ist ein Mann der List und der Heimlichkeit”, sagt Ken Hill, der US-Marshall, der ihm 14 Jahre lang auf den Fersen war. “Er bezahlte sehr gut für seine Sicherheit. Er hatte überall Leute, die ihm Tipps gaben und auf verdächtige Hinweise achteten. Es war, als wenn wir uns mit einem Staat hätten anlegen müssen.”
Im Herbst 1987 etwa sollte der flüchtige Händler in Paris bei einem Treffen mit einem afrikanischen Öl-Minister verhaftet werden, doch er sagte das Meeting in letzter Minute ab. Wenig später bekamen die Amerikaner den Tipp, Rich werde mit einem Privatflugzeug zu einer Party nach London fliegen. Sie warteten vergeblich am Biggin Hill Flughafen in Kent: Wegen Nebels musste das Flugzeug in die Schweiz zurückkehren. Im September 1991 verriet ein finnischer Geschäftspartner dem FBI, Rich fliege nach Helsinki. Kurz vor der Landung ließ dieser, offensichtlich gewarnt, das Flugzeug wenden – und nährte damit die Vermutungen, er werde vom israelischen Geheimdienst Mossad geschützt.
Das war weit mehr als ein Gerücht. Rich finanzierte heimlich Operationen des Mossad im Jemen und in Äthiopien. Er half, israelische Soldaten zu suchen, die von schiitischen Milizen in den Libanon, nach Syrien, Iran und Irak verschleppt worden waren. “Das war gefährlich für ihn und gefährlich für seine Kontaktleute”, sagt der ehemalige Mossad-Agent Avner Azulay. “Ich bin israelischer Staatsbürger”, bestätigte Rich seine Kooperation mit dem Geheimdienst: “Es ist für mich ganz natürlich, Israel zu helfen.” Israelische Politiker wie der jetzige Präsident Shimon Peres oder der frühere Ministerpräsident Ehud Barak bedankten sich, indem sie sich mehrfach persönlich beim damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton für Rich einsetzten. Nicht zuletzt darum wurde er von Clinton an dessen letztem Tag im Amt im Januar 2001 begnadigt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Rich seine Firma schon den eigenen Managern verkauft. Angeschlagen durch die amerikanische Anklage und unter Druck durch eine der damals teuersten Scheidungen, die ihn schließlich 365 Millionen Dollar kosten sollte, hatten sie ihm das Messer an den Hals gesetzt. “Ich war schwach”, sagte Rich, als beschriebe er einen Machtkampf im Tierreich, “die anderen realisierten das und nutzten es aus.” 600 Millionen Dollar erlöste er 1994 für die Marc Rich + Co.
Ein Schnäppchenpreis, weit unter Wert, wie sich heute zeigt. Im Mai ging Richs frühere Firma, die heute Glencore heißt und immer noch als der führende Rohstoffhändler weltweit gilt, an die Börse – die größteTransaktion dieser Art einer ausländischen Firma in London. Ihr Wert beträgt jetzt 60 Milliarden Dollar genau das Hundertfache des einstigen Preises. Die Top-Manager wurden auf einen Schlag zu Milliardären.
Die Börse ist ein Kulturschock für das Unternehmen, das bisher großen Wert auf Verschwiegenheit legte. “Es ist viel praktischer, kein börsennotiertes Unternehmen zu sein. Dann müssen Sie keine Informationen herausgeben”, sagt Marc Rich. “Diskretion ist in diesem Geschäft ein wichtiger Erfolgsfaktor.”
Wenn einer weiß, wovon er spricht, dann er, der unbestrittene Großmeister der Diskretion, der wohl verschwiegenste Händler der Welt.
source: Brandeins 07/11 https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2011/transparenz/der-schattenmann