Das Geheimnis des Rohstoffgiganten

Ein schillernder Gründer, diskrete Geschäfte und satte Milliardengewinne: Der Rohstoffkonzern Glencore ist das größte Unternehmen der Schweiz, jetzt drängt es an die Börse. Den bisher so verschwiegenen Managern beschert das Probleme – und der Öffentlichkeit Einblicke in eine verborgene Welt.

Von Maria Marquart

Hamburg – Es sind nur vier dürre Absätze, die eine wundersame Geschichte erzählen sollen: den Aufstieg von Glencore zum weltgrößten Rohstoffhändler. Doch die spannendsten Kapitel seiner gut 40-jährigen Historie erwähnt das Unternehmen auf seiner Web-Seite nicht: dass Firmengründer Marc Rich von US-Ermittlern quer durch die Welt gejagt wurde und dass riskante und geheimnisumwitterte Geschäfte den Erfolg des Konzerns begründeten.

Nur Brancheninsider können bisher mit dem Namen des verschwiegenen Konzerns mit Sitz in der Schweiz etwas anfangen. Dabei spielt Glencore in einer Liga mit den ganz großen Dax-Unternehmen. Die Firma machte im vergangenen Jahr 145 Milliarden Dollar Umsatz – deutlich mehr als etwa Siemens. Die Zahl der Mitarbeiter: 57.000.

Doch bald dürfte der Rohstoffgigant bekannter werden. Denn Ende Mai will Glencore an die Börse. Auf rund 60 Milliarden Dollar taxieren Experten den Wert des Unternehmens – es dürfte einer der größten Börsengänge in der europäischen Wirtschaftsgeschichte werden.

“Mit dem Börsengang ist Glencore voll im Radar der öffentlichen Meinung”, sagt der Schweizer Journalist Daniel Ammann. Das könnte für den Konzern ein Problem werden. Denn sein Geschäftsmodell gründet auf Diskretion und Verschwiegenheit, bisher ließ Glencore keinen Einblick in seine Strategie zu. Konzernchef Ivan Glasenberg meidet die Öffentlichkeit. Nur zweimal jährlich veröffentlichte er ein paar Kennzahlen – als börsennotiertes Unternehmen muss der Konzern regelmäßig Zahlen bekanntgeben.

Große Geschäfte machen, aber nicht darüber reden – diesem Prinzip folgte schon Firmengründer Marc Rich. In jahrelanger Recherche kam ihm der Journalist Ammann in Gesprächen und durch Briefe nahe. In seinem Buch “King of Oil” schildert er Richs Leben – es könnte als Vorlage für einen Thriller dienen.

“Rohstoffhändler trennen Geschäft und Politik”

Als Rich ein Kind war, flüchtete seine jüdische Familie vor dem NS-Regime in die USA. Jahre später macht er sich als Geschäftsmann erneut auf die Flucht. 1974 gründet er im Schweizer Niedrigsteuer-Kanton Zug unter dem Namen Marc Rich + Company zusammen mit ein paar Vertrauten eine Ölhandelsfirma. “Meine Freunde fühlten, dass da Geld zu machen war”, schilderte Rich später die Anfänge seiner Firma.

Der Handel mit Rohstoffen ist ein heikles Terrain: Oft stammt die Ware aus Ländern, in denen es keine demokratischen Strukturen gibt. “Das Geschäftsgeheimnis von Rich und Glencore liegt auch darin, in sehr heiklen Weltgegenden sehr heiklen Regimen sehr gefragte Dienstleistungen anbieten zu können”, sagt Ammann.

Die Händler von Rich und Glencore seien an bessere Deals herangekommen als die Konkurrenz, weil sie neben dem Kauf und Verkauf von Rohstoffen auch finanzielle Lösungen für ihre Kunden gefunden hätten. So sei für afrikanische Länder die Finanzierung sichergestellt worden, die sie von Banken nie bekommen hätten. Man könnte auch sagen: Rich hatte einfach mehr Chuzpe.

Richs Talent liegt darin, dass er Handelspartner zusammenbringt, die offiziell nichts miteinander zu tun haben. “Rohstoffhändler trennen Geschäft und Politik”, sagt Ammann. Einige heikle Deals schildert der Journalist:

  • Rich sprang demnach als diskreter Vermittler in der Ölkrise ein und verkaufte zwischen den siebziger und neunziger Jahren iranisches Öl an Israel. Offiziell war das in Iran verboten. “Es war ihnen egal, die Iraner wollten einfach ihr Öl verkaufen”, zitiert Ammann Rich.
  • Rich soll das Apartheid-Regime in Südafrika mit sowjetischem Erdöl beliefert haben.
  • Rich soll für die nicaraguanischen Sandinisten Erdöl auf dem Weltmarkt verkauft haben, das sie von sozialistischen Bruderstaaten wie Algerien billig bekommen hatten.

Gewisse Geschäftsbeziehungen haben alle Regimewechsel überstanden, sagt Ammann. Das Credo der Rohstoffhändler laute: “Möglichst lange möglichst viel Profit machen, aber lieber möglichst lange als möglichst viel.”

Laut Ammann hat Rich mit ihm über alle diese Fragen gesprochen. Außerdem habe Rich Ammanns Buch vor der Veröffentlichung gelesen – und keine Einwände gehabt. Warum der 76-jährige Rohstoffspezialist sich auf den Journalisten eingelassen hat? “Ich denke, es ist die Altersmilde”, sagt Ammann. “Und er hat keinen Ruf mehr zu verlieren – den hat er schon verloren.”

US-Ermittler jagen Rich quer durch die Welt

Durch seine Deals gerät Rich ins Visier der US-Behörden. 1981 nehmen sie Ermittlungen gegen ihn auf. Ihm wird unter anderem Steuerhinterziehung und ein Verstoß gegen das Iran-Embargo vorgeworfen. Rich und seine Partner hätten von New York aus 6,25 Millionen Barrel iranisches Öl gekauft und weiterverkauft, lautet der Vorwurf der Behörden. Rich kommt auf die Most-Wanted-Liste des FBI. Er lebt aber in der Schweiz – und damit sicher vor den US-Behörden.

Sein Biograf zitiert US-Ermittler, wonach Fahnder Rich auf Reisen nach England, Jamaika und Deutschland verfolgen. Doch der Geschäftsmann entkommt, Rich wird nie verurteilt. 2001 ändern die USA plötzlich ihre Meinung – Präsident Bill Clinton sichert dem Wahl-Schweizer Straffreiheit zu.

“Glencore wäre ohne Marc Rich nicht denkbar”, sagt Ammann. Doch auf der Internetseite des Unternehmens wird der schillernde Gründer mit keinem Wort erwähnt. Zu Ammanns Darstellung der Konzerngeschichte nimmt Glencore auf schriftliche Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht Stellung.

Fest steht: Rich verlässt seine eigene Firma 1994 – offenbar nach einer Fehlspekulation. Das Unternehmen verliert 172 Millionen Dollar, als es versucht, die Kontrolle über den Zinkmarkt zu erlangen. “Sie kauften und kauften und trieben den Preis auf diese Weise in die Höhe”, berichtet ein Ex-Manager der Rich-Firma. Doch am Ende platzt die Blase. “Ich war schwach. Die anderen bemerkten das und nutzten es aus”, beschreibt Rich später den firmeninternen Machtkampf. Er verkauft seine Unternehmensanteile. Schon damals wurde der Wert der Firma auf bis zu 1,5 Milliarden Dollar geschätzt.

“Glencore sitzt am längeren Hebel”

Aus Marc Rich + Company wird nach dem Ausscheiden des Gründers Glencore. Die folgenden Chefs bauen das Unternehmen zu einem integrierten Rohstoffkonzern mit fast 60.000 Mitarbeitern in 40 Ländern um, dessen Bandbreite von Metallen über Mineralien bis hin zu Öl und Agrargütern reicht. Glencore kontrolliert die gesamte Wertschöpfungskette: Die Firma handelt nicht nur mit Waren, sondern fördert auch Rohstoffe und organisiert den Transport. Das Unternehmen mit Sitz in Baar besitzt weltweit Bergwerke, Raffinerien, Eisenhütten und Weizensilos (siehe Grafiken).

Etwa 12.000 Industriekunden soll Glencore haben. “Die Firma hält ihre Verträge ein und ist ein seriöser Geschäftspartner”, sagt ein Insider. “Die Leute sind gute Händler, gehen hohe Risiken ein und sitzen am längeren Hebel.”

Bisher halten etwa 500 führende Glencore-Manager sämtliche Anteile an der Firma. Da das Unternehmen 15 bis 20 Prozent seiner Anteile über die Börse verkaufen will, kommt es zusammen mit seinen Partnern auf erwartete Einnahmen von umgerechnet elf Milliarden Dollar. Glencore könnte damit im hartumkämpften Rohstoffmarkt Übernahmen finanzieren.

Doch im Licht der Öffentlichkeit drohen Glencore neue Probleme. Denn diskrete Geschäfte werden für einen börsennotierten Konzern schwieriger. Menschenrechts- und Umweltaktivisten könnten Aktien kaufen, um die Firma auf Aktionärstreffen ins Visier zu nehmen, sagt Ammann. Die gesamte Rohstoffbranche steht wegen teils unmenschlicher Arbeitsbedingungen, Umweltzerstörung und Schmiergeldvorwürfen am Pranger.

Gesellschaftliche Verantwortung? Keine Auskunft!

Als Korruption beim Öl-für-Lebensmittel-Hilfsprogramm der Uno für den Irak ans Licht kam, hieß es 2005 in einem Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen, Glencore-Leute hätten Schmiergelder an das Regime von Saddam Hussein gezahlt. Das Unternehmen beteuerte, es wisse nichts von Regelverstößen. Gegen Glencore wurde in diesem Zusammenhang nie eine Strafe verhängt.

Als Menschenrechtler Bergbaukonzernen 2008 vorwarfen, in Kolumbien gewaltsam Dörfer räumen zu lassen, geriet auch Glencore in die Kritik. Der Konzern wies jede Verantwortung zurück und verwies im Gegenzug auf sein soziales Engagement in dem Land.

Bei einem Ranking zu gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen landete Glencore 2007 auf dem letzten Platz. “Es gab schlicht keine Infos”, sagt Ranking-Initiator Klaus Rainer Kirchhoff. Auch wenn sich die Firma inzwischen einen Kommunikationsberater zugelegt hat – Kirchhoff glaubt nicht, dass bei Glencore mit dem Börsengang große Transparenz einkehrt. “Die werden ein paar bunte Broschüren drucken und sich etwas mehr öffnen.”

“Ohne Rohstoffe würde die Wirtschaft zusammenbrechen”

Mit seinem Börsenprospekt gibt Glencore nun erstmals Einblick in sein Imperium. Doch viele Details bleiben unklar: Wie viele Anteile an der Firma gehören nun wirklich Glencore-Chef Glasenberg? Wie sind die Geschäfte in den vergangenen Monaten gelaufen?

Was bei Rohstoffgeschäften hinter den Kulissen passiere, wisse die Öffentlichkeit meist nicht, sagt Rich-Biograf Ammann. Ein Geschäftspartner von Marc Rich habe ihm einmal das Dilemma der Rohstoffhändler erklärt. “Ohne Rohstoffe würde die Wirtschaft zusammenbrechen. Die Welt stünde still. Wollen das die Leute, die unsere Arbeit kritisieren, überhaupt wissen? Oder hacken sie lieber auf uns rum, um sich besser zu fühlen?”

Source: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,760517,00.html

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