“Die Flucht in kurzen Hosen vor den Nazis hat ihn geprägt”

Der Rohstoffhändler Marc Rich ist für viele der Inbegriff des bösen Rohstoffspekulaten. Daniel Ammann, Autor seiner Biografie (King of Oil), zeichnet im Interview mit Tagesanzeiger.ch/Newsnetz ein differenzierteres Bild.

Interview: Markus Diem Meier

Wie viel Zeit haben Sie mit Marc Rich verbracht?
Rund 30 Stunden, eher mehr. Ich habe ihn etwa 15 Mal getroffen. Zwei Tage lang bin ich mit ihm auch in Sankt Moritz skifahren gegangen. Die Mittagessen dazwischen waren für mein Buch zum Beispiel sehr ergiebig.

Er hat mit Ihnen offenbar auch über sehr persönliche Dinge gesprochen, wie über seine Scheidung und den Tod seiner Tochter. Marc Rich war ansonsten für Journalisten kaum erreichbar. Wieso ist gerade Ihnen das gelungen?
Ich habe zuvor schon über viele Jahre versucht, mit ihm in Kontakt zu treten, einen ersten Brief habe ich bereits im Jahr 2000 geschrieben. 2007 konnte ich dann ein schriftliches Interview mit ihm führen. Dieses habe ich in ein Rich-Porträt in der «Weltwoche» eingeflochten. Er hat gesehen, dass ich ihm gegenüber hart, aber fair bin und auch seine Sichtweise in den Text einfliesst. So war er dann auch bereit, mit mir für das Buch zusammenzuarbeiten.

Waren Sie ihm gegenüber zu unkritisch? Ihnen wird von einzelnen Rezensenten vorgeworfen, Sie verherrlichten in Ihrem Buch Marc Rich.
Im Gegenteil. Ich lasse auch seine härtesten Kritiker zu Wort kommen und zeige alle seine Geschäfte.

Hat Marc Rich das Buch vor der Publikation gegengelesen.
Ja, das Manuskript hat er gelesen. Wir haben aber vereinbart, dass er es nur auf sachliche Fehler absucht. Das war von Anfang an der Deal. Letztlich hat er nur mit den Worten reagiert, das Buch sei ein «balanced report», also ausgewogen.

Hat er für das Buch bezahlt?
Sicher nicht.

Sie beschreiben Rich einerseits als faszinierende, erfolgreiche Persönlichkeit, andererseits aber tatsächlich auch als skrupellos und geldgierig. War Ihnen der Mann sympathisch oder nicht? Wie haben Sie sich mit ihm zusammen gefühlt?
Rich kann sehr charmant sein und zwischendurch war er mir durchaus auch sympathisch. Aber es gab auch schwierige Momente. Als Autor muss man ohnehin stets bemüht sein, genügend Distanz zu wahren.

Welche Momente waren denn schwierig?
Es kann vorkommen, dass er nur mit «Yes» oder «No» antwortet oder dann wissen will, weshalb man eine Frage überhaupt stellt. Einmal habe ich deshalb ein Interview mit ihm sogar abgebrochen. Allerdings hat Marc Rich auf 99 Prozent aller Fragen auch eine Antwort gegeben, selbst auf solche über Korruption oder den Rohstoffhandel mit Despoten.

Das Beispiel Rich zeige, dass bei nationalen Interessen Moral kaum eine Rolle spiele, schreiben Sie. Entschuldigen Sie mit ihrem Buch nicht das Verhalten von Marc Rich, der mit Despoten gehandelt und dank verbotenem Handel während Wirtschaftssanktionen gut verdient hat?
Nein, diese Realität entschuldigt sein Handel nicht. Aber man muss sie kennen, um das ganze Bild zu verstehen. Es nützt wenig, die unschönen Seiten des Rohstoffhandels einfach als Drecksgeschäft abzutun und dabei nicht genauer hinzuschauen. Zudem gibts auch eine grosse Heuchelei: Keines unserer Handys würde ohne Koltan funktionieren. Dieser Rohstoff stammt aus dem Kongo – einem Land, das die Menschenrechte mit Füssen tritt.

Sie haben auch geschrieben, selbst die ansonsten hoch gehaltene Ideologie würde in der politischen Realität oft keine Rolle spielen. Können Sie das ausführen?
Marc Rich bezog erst vom Schah von Persien Öl. Das Mullahregime, das den Schah gestürzt hat, hat die Geschäftsbeziehungen mit Rich aber aufrechterhalten. Rich hat das iranische Öl dann sogar mit Wissen der Mullahs an Israel verkauft. Offiziell will Iran Israel bis heute vernichten. Solche Beispiele finden sich in meinem Buch eine ganze Reihe.

Der Rohstoffhandel läuft oft über üble Diktaturen. Sie schreiben, dass die Welt dennoch davon profitiert. Geht das nicht auf Kosten der Grundprinzipien moderner Zivilisationen und der Menschenrechte?
Ja, diese Gefahr besteht. Man spricht vom Fluch des Rohstoffreichtums, dem Länder ausgesetzt sind, die über einen solchen verfügen. Gerade weil er ohne grosse Leistung einflussreiche Clans sehr reich werden lässt, bilden sich dort vielfach üble Regimes mit einem umfassenden Klientelsystem heraus.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Es nützt auf jeden Fall nichts, wenn man nur einzelnen Firmen verwehrt, mit diesen Ländern Handel zu treiben. Nötig sind internationale Regeln. Die Bestechung ist zum Beispiel durch einen grösseren internationalen Konsens dagegen und entsprechende Regeln schwieriger geworden, als es früher war. Reformen in Despotenländern müssen aus diesen selbst kommen. Das kann man nicht von aussen oktroyieren, wie die Erfahrung zeigt.

Bei allem, was Rich tat, schreiben Sie, sei im Hintergrund immer die Mentalität des Holocaust-Überlebenden gestanden, jene des Flüchtlings. Können Sie das erklären?
In kurzen Hosen musste er auf einem Frachter vor den Nazis flüchten, das hat ihn geprägt. Rich hat alles aus dem Nichts aufgebaut. Er wusste, dass er auf sich selbst gestellt bleibt, und er wollte beweisen, dass er besser ist als andere. Er hat nie zu einem Establishment gehört. Positiv könnte man sagen, er ist stets unabhängig geblieben, negativ könnte man das auch isoliert nennen.

Die Geschichte von Marc Rich erinnert in einer Sequenz auch an die Geschichte der USA mit der UBS. Denn die Grossmacht hat die Schweiz auch im Fall von Rich unter Druck gesetzt, ihn wegen dem Bruch amerikanischen Rechst auszuliefern.
Die Parallelen sind in der Tat frappant. Doch in seinem Fall hat die Schweiz auf ihrer Unabhängigkeit beharrt. Dabei ging es nicht darum, ihn persönlich zu schützen oder seine Taten gutzuheissen. Das Land hat damals einzig auf der eigenen Souveränität und der unabhängigen Gerichtsbarkeit beharrt. Dabei haben die Amerikaner sogar versucht, Rich aus der Schweiz zu entführen. Er selbst wollte von sich aus Dokumente ausliefern. Doch die Bundesanwaltschaft hat das verhindert.

quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Die-Flucht-in-kurzen-Hosen-vor-den-Nazis-hat-ihn-gepraegt/story/21583554

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