“Ein Händler ohne Emotionen und Tabus”

Daniel Ammann schreibt spannend über das abenteuerliche Unternehmerleben des Glencore-Gründers Marc Rich. Sein Buch “King of Oil” gehört zu den zehn Kandidaten für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2010.

Von Oliver Stock

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Das Buch beginnt wie ein Agententhriller: Im Schnee in St. Moritz fährt ein grasgrüner, ansonsten unscheinbarer Subaru an der Talstation des Sessellifts Suvretta vor. Ein Mann mit Skibrille steigt aus. Sein stämmiger Fahrer hilft ihm, die Ausrüstung zu entladen. Ein anderer Skiläufer erwartet ihn bereits. Es ist der Journalist Daniel Ammann. Er trifft sich an diesem bitterkalten Morgen in den Schweizer Alpen mit Marc Rich, den er den “King of Oil” nennt, den Ölprinz.

Ammann hat sich vorgenommen, eine Biografie von Rich zu schreiben, eine, die zwar nicht autorisiert ist, aber in der die Hauptperson ausführlich zu Wort kommen soll. Zum ersten Mal.

Marc Rich, Rohstoffhändler, Multimillionär, 17 Jahre von US-Ermittlern wie dem späteren New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani als Landesverräter und Steuerflüchtling mit Haftbefehl gejagt, von US-Präsident Bill Clinton am letzten Tag seiner Amtszeit begnadigt, Ehrendoktor der Bar-Ilan-Universität in Israel. Seine Eltern brachten ihn 1934 nach der Flucht aus Deutschland in Antwerpen unter dem Namen Marcel Reich zur Welt. Er lebt heute in der Schweiz, in einer Villa am Luzerner See, der sich Besucher nicht auf 200 Meter nähern können, ohne von einer Lautsprecherstimme aufgefordert zu werden, umzudrehen.

Ölgeschäfte mit Iran und Israel

Die, die ihn verfolgen, nennen Rich einen skrupellosen Geschäftemacher. Sie werfen ihm vor, mit dem iranischen Ajatollah-Regime just zu der Zeit gehandelt zu haben, als die fundamentalistischen Eiferer in Teheran amerikanisches Botschaftspersonal für mehr als ein Jahr in Geiselhaft genommen hatten.

Genauso soll er das Apartheid-Regime in Südafrika unterstützt und damit dessen Lebenszeit verlängert haben. Die Gewinne, die er so scheffelte, verteilte er über ein Firmengeflecht, dem kein Steuerprüfer gewachsen war. Am Ende wird aus der Marc-Rich-AG Glencore, auch heute die Nummer eins im weltweiten Rohstoffgeschäft, ein Konzern mit Sitz im schweizerischen Zug, der von Rich vor allem eines gelernt hat: zu schweigen. Festnahmeversuchen widersetzte sich Rich erfolgreich, weil auch er ein Netz von Spitzeln an den entscheidenden Stellen unterhielt, die ihn mit Informationen versorgten, die es ihm erlaubten, den Ermittlern stets einen Wimpernschlag voraus zu sein.

Ammann entwirft ein Gegenbild. Er zeichnet einen Menschen, der es mit Charme, Kompetenz und Ausdauer in seiner Branche zum “King of Oil” gebracht hat. Er porträtiert Rich als einen Händler durch und durch, der immer dann in seinem Metier besonders erfolgreich ist, wenn er keine Emotionen kennt: Der Iran wollte Öl verkaufen, Israel brauchte es – Rich machte den Deal, der nach politischer Lesart, nach der sich die beiden Mächte raketenstarrend gegenüberstehen mussten, ein Tabu gewesen ist. “Du bringst einen Nutzen, und du erhältst einen Nutzen”, lautet Richs Maxime für einen guten Deal.

Ammann schreibt in der Ich-Form. Er bemüht sich also gar nicht erst, Objektivität zu bewahren, sondern schildert freimütig, was ihm während der vielen Interviews durch den Kopf geht, die er mit Freunden und Feinden seines Titelhelden geführt hat.

Interviews mit Feinden

Die Distanz zu dem Dealer wird mit jedem Treffen geringer, sie verschwindet ganz in Kapiteln, in denen er die Persönlichkeit Richs und seine Beziehung zur Familie beschreibt. Die Biografie wird dann zum Roman, Ammann springt zwischen den Genren. Aber dank einer schillernden Figur als Mittelpunkt bleibt die Spannung bis zur letzten Seite intakt.

Quelle:http://www.handelsblatt.com/magazin/kultur-lifestyle/shortlist-rezension-ein-haendler-ohne-emotionen-und-tabus;2626893

Daniel Ammann:
King of Oil.
March Rich – Vom mächtigsten Rohstoffhändler der Welt zum Gejagten der USA.
Orell Füssli, Zürich 2010, 317 Seiten, 24,90 Euro

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