“Die USA hätten Marc Rich haben können”

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Wie im Fall Polanski hätte die Schweiz den USA Hand geboten für die Auslieferung des Rohstoffhändlers Marc Rich. Warum es nicht dazu kam, enthüllt ein neues Buch.

Walter Niederberger, San Francisco

Die US-Justiz war verzweifelt, so verzweifelt, dass sie Josef Lang, den bekannten linken Lokalpolitiker und späteren Nationalrat, um Unterstützung anging. Die ungewöhnliche Anfrage des FBI galt der Person von Marc Rich, und Lang – wie Rich im Kanton Zug wohnhaft und einer seiner heftigsten Kritiker – sollte helfen. Lang musste gemäss dem Plan Mechaniker auf dem Flughafen Kloten anheuern und sie dafür gewinnen, die Amerikaner zu informieren, sobald Rich die Schweiz verlassen würde. Der Rest – die Verhaftung des wegen Steuerhinterziehung und Zusammenarbeit mit dem Feind Gesuchten – wäre dann Sache der US-Marshalls. «Sorry, ich bin Politiker und kein Privatdetektiv», beschied Lang den Bundespolizisten. Eine Spitzeltätigkeit war mit den Schweizer Gesetzen nicht vereinbar, daran änderte auch das hohe Kopfgeld von 750 000 Dollar nichts, das auf Rich ausgesetzt war.

Die Episode aus dem Jahr 1992 ist eine unter Dutzenden aus dem Leben des umstrittenen Rohstoffhändlers, wie sie der Schweizer Journalist Daniel Ammann im ersten umfassenden Werk (“The King of Oil”) über den heute 74-Jährigen beschreibt. Der in Meggen wohnhafte, öffentlichkeitsscheue Geschäftsmann stand Ammann während mehr als 30 Stunden zur Verfügung, womit Rich erstmals ausführlich über sein Leben, seine Erfolge und seine Fehler berichtete. Zusätzlich befragte der Autor Rohstoffhändler, Mitglieder des israelischen Geheimdiensts Mossad sowie Regierungsvertreter der USA und der Schweiz.

Dabei zeigt sich, dass Rich weit mehr Geschäfte mit linken und rechten Diktatoren im Iran, in Südafrika, Angola und Russland tätigte, als bisher angenommen wurde. Als erst 24-jähriger Rohstoffhändler traf er auch Che Guevara («energisch und lebhaft») und bekennt, trotz Embargos jahrelang mit Castro zusammengearbeitet zu haben.

Ohne die Dienste des Zuger Händlers wäre auch Israel zeitweise von überlebenswichtigen Ölreserven abgeschnitten gewesen, die ausgerechnet der Iran über eine geheime Pipeline anlieferte. Mit dem Iran unterhielt Rich gar bis 1994, also nach der Machtübernahme durch Khomeini, Lieferabkommen. So ergibt sich das Bild eines Mannes, der Geschäftsbeziehungen jahrelang sorgfältig aufbaute, sie intensiv pflegte und so Inneneinsichten in Länder gewann, die den US-Geheimdiensten vorenthalten blieben.

Rich sieht sich als unpolitischen Kopf, obwohl seine Geschäftspraxis auf das Gegenteil hinauslief. Indem er den Handel des Apartheid-Regimes in Südafrika mitfinanzierte, hielt er es an der Macht. Anderseits gewann er so viel Vertrauen, dass er nach dem Machtwechsel auch mit der ersten schwarzen Regierung ins Geschäft kam. Dieses Muster wiederholte sich und weitete sich gar auf die Geheimdienste aus. Seine Informationen waren sowohl in den USA wie in Israel hochwillkommen. Das einmalige Informationsnetz dürfte letztlich auch beim umstrittenen Gnadenerlass durch Präsident Bill Clinton geholfen haben. Es waren nämlich prominente israelische Politiker wie Shimon Peres und Ehud Barak, die Clinton inständig um eine Begnadigung baten und durchblicken liessen, dass Rich immer ein wichtiger und verlässlicher Freund des Landes gewesen sei.

Gute Freunde in der Schweiz

Die Anfragen aus Israel zu einem Zeitpunkt, als die Friedensverhandlungen mit Palästina aussichtsreich schienen, dürften Clinton ebenso bewegt haben wie die geschickt verfasste Bittschrift selber. Darin spielten die Anwälte Richs auf das überbordende Strafverfahren an, das der damalige Generalstaatsanwalt für New York, Rudy Giuliani, 1983 losgetreten und zum «grössten Steuerbetrug aller Zeiten» hochgewuchtet hatte, um seine politische Karriere darauf aufzubauen. Rich sieht sich bis heute als unschuldiges Opfer des übereifrigen Giuliani, so, wie sich Clinton seinerzeit im Fall Lewinsky als Opfer einer überdrehenden republikanischen Parteimaschine sah. Bemerkenswert übrigens, dass Rich 2001 auch aus der Schweiz gute Wort mitbekam. Stadtpräsident Josef Estermann, der Kunstsammler Ernst Beyeler und der UBS-Banker Pierre de Weck ersuchten wegen Richs philantropischen Zuwendungen genau so um die Begnadigung wie der spanische König Juan Carlos.

Im Juni 1983 suchte Jürg Leutert, der Rechtsvertreter der Schweiz in den USA, Rudy Giuliani auf und machte ihm klar, dass die Schweiz nicht die Interessen eines Steuerflüchtlings vertreten wolle, aber ebenso wenig dulde, wenn die USA ihr Rechtsverständnis auf helvetischem Territorium durchzusetzen versuche. Immerhin war die Marc-Rich-Gruppe in der Schweiz domiziliert, Verstösse gegen Embargos der Uno und der USA waren (noch) nicht illegal; und zudem galt damals wie heute der Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Es ging also um die Souveränität des Kleinstaats, die Rich mit der Domizilierung seiner Handelskonzerns in Zug auf seiner Seite zu wissen hoffte.

«Die Amerikaner hätten uns nur zu sagen gebraucht, dass sie einen riesigen Betrugsfall vor sich hätten und ein gewisser Marc Rich involviert sei», so Leutert. Ein darauf gestütztes Rechtsbegehren wäre schnell ausgeführt gewesen und Rich in provisorische Haft gesetzt worden. Warum Giuliani es mehr als ein Jahr versäumte, auf diese von der Schweiz offerierte Steilvorlage einzugehen, bleibt für Leutert «bis heute ein Rätsel». Ein Schweizer Diplomat erklärt das Versäumnis derUS-Justiz damit, dass Giuliani nach typisch amerikanischer Art versucht habe, die Schweiz politisch einzuschüchtern, ohne sich um die rechtlichen Feinheiten zu kümmern. Die Holzhammermethode bewirkte das Gegenteil: Bern weigerte sich, den Pressionen nachzugeben. Ein Berater des US-Aussenministeriums fasst die Problematik so zusammen: «Die schwierigsten Auseinandersetzungen ergeben sich immer dann, wenn die USA so vorgehen, dass sie sich in Widerspruch zu den Gesetzen und politischen Gebräuchen in den ausländischen Territorien setzen.» Wäre Giuliani subtiler vorgegangen, hätten sich Rich und die USA wohl schon lange auf einen Vergleich geeinigt.

Das Trauma mit der Tochter

Vor dem Hintergrund des Falls Polanski stellt sich die Frage nach der fairen Behandlung im Fall einer Auslieferung. Alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp, die das Seilziehen um Rich als Justizministerin aus nächster Nähe verfolgte, ist skeptisch. «Ich habe begriffen, dass Rich keine Chance auf eine faire Justiz in den USA hatte», so Kopp in ihrer bisher einzigen Aussage zum Fall. Auch hätte sie Rich zudem eine einmalige Einreise erlaubt, als seine krebskranke Tochter in Seattle im Sterben lag. «Es gibt Fälle, in denen humanitäre über politischen Erwägungen liegen müssen», sagt Kopp. «Wenn das nicht mehr möglich scheint, muss man sich fragen, wieso man überhaupt in der Politik tätig ist.»

Rich hatte ein Einreisegesuch gestellt, was ihm von den USA verweigert wurde, und musste aus der Ferne miterleben, wie seine Tochter im Alter von 27 Jahren starb. Sein Fehlen, so viel wird im Buch klar, ist eine der schwersten Verletzungen, die er sich mit seiner Steuerflucht zufügte. Über den Privatmann Rich, einen nach eigenen Worten seit dem 14. Altersjahr nicht mehr gläubigen Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie, ist noch immer wenig bekannt. Eine erste Ehe endete nach 20 Jahren mit der Scheidung, wobei erstmals klar wird, dass Marc Rich der inzwischen im Musikgeschäft tätigen Denise 365 Millionen Dollar Abfindung überweisen musste. Seine zweite Ehe mit der früheren Mätresse bedauert er sehr. Auf die Frage, wie viel er ihr nach der Scheidung bezahlen musste, sagte er lediglich: «Ich will mich nicht erinnern.»

Eine Rückreise in die USA, deren Staatsbürgerschaft er zurückgab, steht für ihn heute ausser Frage; zu wenig vertraut er den amerikanischen Behörden. Er befürchtet, dass er trotz der Begnadigung unter irgendeinem Vorwand inhaftiert würde. Anderseits haben die USA keine Anstalten mehr gemacht, die ausstehenden Steuerschulden einzutreiben, auch wenn dies möglich wäre. Auf die Rolle der politischen Schweiz angesprochen, gibt sich Rich versöhnlich. «Die Schweiz verbeugte sich nicht. Ich war und bin zufrieden damit, dass die Schweiz ihrem historischen Image gerecht wurde und nicht zuliess, von einer Grossmacht erpresst zu werden.»

Ganz so felsenfest war diese Haltung indessen nicht. So versuchten zwei US-Marshalls 1985 allen Ernstes, Rich aus der Schweiz zu entführen. Sie hatten zu diesem Zweck den Schauplatz Zug ausgekundschaftet und einen Landeplatz für einen Helikopter ausgemacht. Dabei konnten die Amerikaner auf die Mithilfe von Schweizer Polizisten zählen, die das illegale Vorgehen zwar nicht unterstützen durften, es inoffiziell aber dennoch taten. Der Plan scheiterte, weil die Schweizer Behörden einen Tipp aus den USA erhielten, wahrscheinlich aus dem Aussenministerium.

Begründete Ängste

Dies wäre nicht ungewöhnlich, als innerhalb der US-Regierung oft Interessenkonflikte bestehen. Solche Spannungen waren auch im Fall der UBS zu beobachten, vergleichbare Konfliktlinien dürften den Fall Polanski begleiten. Das versuchte Kidnapping von Rich wurde später mit Erfolg in Mexiko angewandt, als ein Drogenhändler entführt wurde und das höchste US-Gericht die Aktion auf ausländischem Territorium für verfassungskonform erklärte. Die Ängste von Rich oder Polanski sind aus dieser Optik also nicht unbegründet.

Die Karriere von Marc Rich weist weit über die Person des ebenso erfolgreichen wie skrupellosen Geschäftsmanns hinaus. Sie zeigt, dass die USA wenig Bedenken hatten und haben, ihre Gesetze und ihr Rechtsverständnis im Ausland durchzusetzen. Es wird auch deutlich, dass es keinen Grund gibt, vor den forschen amerikanischen Behörden zurückzuschrecken. Letztlich wird Rich entdämonisiert. «Die Welt ist nicht nur schwarz und weiss», sagt Autor Ammann. «Ihm ging es um das Geschäft und um Geld, nicht um die Moral.»

http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Die-USA-haetten-Marc-Rich-haben-koennen/story/10011717

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