
Die USA missachten die Souveränität der Schweiz und handeln völkerrechtswidrig, wenn sie die UBS zwingen, Kundendaten herauszurücken. Der Bundesrat muss die Lehren aus dem Fall Marc Rich ziehen – und hart bleiben.
Es waren klare Worte letzte Woche – nach Monaten, in denen der Bundesrat im Steuerstreit um die Grossbank UBS einen eher zwiespältigen und ungeeinten Eindruck hinterlassen hatte. Die Schweizer Regierung zog gegenüber der amerikanischen Justiz eine rote Linie und stellte klar: Die UBS darf die Informationen von 52 000 amerikanischen Kunden unter keinen Umständen herausrücken. Und der Bundesrat drohte den USA mit einer Eskalation. Nötigenfalls, so liess der Bundesrat wissen, entzöge er die fraglichen Kundendossiers «der Verfügungsgewalt der Grossbank», damit sie nicht in den USA landeten. Sprich: Er liesse sie beschlagnahmen.
Der Steuerstreit, den die UBS mit ihrem Verhalten in den USA auslöste, ist definitiv zu einem zwischenstaatlichen Konflikt zwischen den USA und der Schweiz geworden. Es war nötig, dass der Bundesrat dies explizit anerkannte – und sich dem Konflikt stellt. Denn unabhängig von Schuld oder Unschuld der UBS; unabhängig davon, ob die Bank amerikanischen Kunden half, Steuern zu hinterziehen; auch unabhängig davon, ob die UBS mit ihrem Geschäftsgebaren den Schweizer Finanzplatz – und die Schweiz – in grösste Bedrängnis brachte: Beim Gerichtsverfahren in Florida, das Anfang Woche auf gemeinsamen Wunsch der amerikanischen und der Schweizer Regierung sowie der UBS vertagt wurde, geht es um etwas anderes. Es geht um die Frage, ob in der Schweiz schweizerisches oder amerikanisches Recht gilt. Es geht darum, ob sich die Schweiz von den Drohungen einer Grossmacht einschüchtern lässt. Es geht, ohne pathetisch zu werden, um die Schweizer Souveränität.
Genau darum ging es schon einmal, vor 26 Jahren, bei der Steueraffäre um den Zuger Rohstoffhändler Marc Rich. Bei allen Unterschieden sind die Parallelen zwischen dem UBS-Steuerstreit und dem Fall Rich frappant. Wie damals wird ein Verfahren gegen eine Schweizer Firma in den USA zum «historischen» Fall (ABC News) stilisiert, zum «grössten Test für das Schweizer Bankgeheimnis» (Reuters), zum «bahnbrechenden Prozess» (Wall Street Journal). Wie damals entscheidet ein amerikanischer Bezirksrichter über die Frage, ob eine Schweizer Firma Schweizer Geschäftsdokumente der US-Steuerbehörde IRS offenlegen muss. Wie damals betreffen diese Akten nicht nur die Firma selber, sondern auch die Geheimnisse ihrer Kunden. Und wie damals geht es den Amerikanern darum, ein Exempel zu statuieren.
Vergiftete Beziehungen
Der Fall Rich eskalierte Mitte der achtziger Jahre zum bislang schlimmsten diplomatischen Konflikt zwischen den USA und der Schweiz. Er vergiftete die Beziehungen der beiden Länder für viele Jahre – und er ist ein Lehrstück dafür, wie man in solchen Konflikten mit den Amerikanern umgehen sollte.
Das Vorgehen der USA gegen Marc Rich war einer der frühen Fälle von dem, was ich in meinem kommenden Buch «The King of Oil» als «rechtlichen Isolationismus» bezeichne; der anhaltenden Tendenz der US-Justiz, die eigenen Gesetze über die Gesetze anderer Länder zu stellen und die Gerichtsbarkeiten anderer Länder zu missachten.
Der Funke im Pulverfass war – ähnlich wie heute bei der UBS – ein Streit über Geschäftsdokumente der Marc Rich + Co AG, die ihren Hauptsitz seit 1974, seit ihrer Gründung, in Zug hatte. Anfang der achtziger Jahre war Rich einer der grössten unabhängigen Ölhändler der Welt und damit ein lohnendes Ziel. Ein ehrgeiziger New Yorker Staatsanwalt namens Rudolph W. Giuliani warf ihm und seinen Firmen in den USA und in der Schweiz vor, sie hätten Profite aus Ölgeschäften in der Höhe von über 100 Millionen Dollar verheimlicht. Die Profite hätten sie über den Schweizer Hauptsitz abgerechnet und so 48 Millionen Dollar an amerikanischen Steuern hinterzogen.
Die Staatsanwaltschaft verlangte die Herausgabe von Hunderttausenden von Akten von der Marc Rich International in New York und von der Marc Rich + Co AG in Zug. Die Marc Rich International, die der amerikanischen Gerichtsbarkeit unterlag, lieferte die Papiere anstandslos. Die Marc Rich + Co AG allerdings weigerte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Sie argumentierte, dass sie als Schweizer Firma unter Schweizer Gesetzen operiere und dass es ihr diese Gesetze verböten, Geschäftsdokumente an eine ausländische Behörde auszuhändigen. Und sie zitierte das Verbot des «wirtschaftlichen Nachrichtendienstes», das im Artikel 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches festgehalten ist: «Wer ein Geschäftsgeheimnis einer fremden amtlichen Stelle [. . .] zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe [. . .] bestraft.»
Den New Yorker Distriktrichter Leonard Sand kümmerte das nicht, er entschied, dass die Marc Rich + Co die Geschäftsdokumente trotzdem ausliefern müsse. Als sich die Firma weiterhin weigerte, verhängte Richter Sand im Juni 1983 eine drakonische Beuge-Busse: 50 000 Dollar müsse die Firma bezahlen – pro Tag –, so lange, bis sie die Dokumente aushändige. Gleichzeitig drohte der Richter, 55 Millionen Dollar der Marc Rich + Co AG einzufrieren, die bei zwanzig europäischen und amerikanischen Banken lagen oder die Rich von Geschäftspartnern noch geschuldet wurden. Darauf wurden einige Geschäftspartner und Banken nervös und drängten Rich, der seine Unschuld beteuerte und sich mittlerweile von New York in die Schweiz abgesetzt hatte, eine Lösung zu finden.
Angesichts steigender Schwierigkeiten, Kredite zu bekommen und in den USA Geschäfte betreiben zu können, schlossen Richs Anwälte mit Richter Sand einen Vergleich. Die Marc Rich + Co willigte im August 1983 ein, die Beuge-Bussen zu bezahlen und sämtliche Dokumente zu übergeben. Innert weniger Tage lieferte die Zuger Firma einen ersten Teil aus, über 200 000 Dokumente, und das sollte erst der Anfang sein. Dann aber, am 13. August, einem Freitag, klopften Beamte der Schweizerischen Bundesanwaltschaft an die Türe der Marc Rich + Co AG in Zug. Im Auftrag des Bundesrates beschlagnahmten sie alle noch verfügbaren Akten, die von den US-Behörden verlangt wurden. Gleichzeitig eröffnete die Bundesanwaltschaft gegen Rich ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes. Dieses Verfahren sollte den USA zeigen, dass die Schweiz es nicht akzeptierte, dass eine Schweizer Firma hiesige Gesetze brach.
Der Bote mit dem Scheck
Es war genau das Vorgehen, das der Bundesrat letzte Woche im Fall der UBS ankündigte. Und sehr ähnlich wie damals könnte auch die Affäre um die UBS weitergehen. Die Schweizer Regierung schrieb dem US-Aussenministerium, dass es der Marc Rich + Co AG nunmehr «rechtlich und physisch unmöglich» sei, einem amerikanischen Staatsanwalt auch nur ein einziges Dokument auszuhändigen, das sich in der Schweiz befinde. Richter Sand liess sich von der Aktion der Schweizer Regierung aber nicht beirren. Er verlangte weiterhin alle Dokumente und entschied, dass die Beuge-Busse weiterlaufen sollte. Ein Bote von Marc Rich lieferte dem Gericht darauf über ein Jahr lang jeden Freitag einen Scheck von 200 000 Dollar und jeden Montag einen Scheck von 150 000 Dollar ab (alles in allem würden es schliesslich über 21 Millionen Dollar sein).
Der Bundesrat protestierte in einer diplomatischen Note bei der amerikanischen Regierung energisch gegen das, was er als Verstoss gegen das internationale Recht ansah: Die Ausübung hoheitlichen Zwangs auf eine Firma in der Schweiz sei «ausschliesslich Sache der Landesbehörden», liess er die USA wissen. Das «völkerrechtswidrige Vorgehen» der amerikanischen Justizbehörden verletze die schweizerische Gerichtsbarkeit und somit die Gebietshoheit «in schwerwiegender Art». Wenn die amerikanischen Behörden Beweise aus der Schweiz wollten – was ein «legitimes Bedürfnis» sei –, dann müssten sie wie jeder andere Staat internationale Rechtshilfe beantragen. Gleichzeitig pochte der Bundesrat auf die Respektierung der Schweizer Souveränität und machte klar: «Rechtshilfe und fremde Beugesanktionen schliessen sich gegenseitig aus.»
Wenige Tage später, am 19. September 1983, klagte Rudolph W. Giuliani, ohne Rechtshilfe beantragt zu haben, Rich an und sprach vom «grössten Steuerbetrugsfall der Geschichte». Er liess sämtliche Guthaben von Marc Rich auf amerikanischem Territorium beschlagnahmen. Die Vermögenswerte, die «vorsorglich» eingezogen wurden, betrafen alles nur Denkbare von Bankkonten und Liegenschaften über Wertschriften und Industriebeteiligungen bis hin zu Büromöbeln. Sie waren Hunderte von Millionen Dollar wert. Banken und Firmen, die mit Rich Geschäfte machten, wurden zudem davor gewarnt, dass Gelder, die sie von Marc Rich erhielten oder ihm gaben, beschlagnahmt werden könnten.
Die Lebensader der Firma war damit praktisch durchtrennt. Ohne Kredite oder Kreditzusagen in grosser Höhe kann keine Firma Rohstoffe handeln. Handelshäuser begannen Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen und ihre Geschäfte mit Rich zu begrenzen. «Unsere Firmen standen vor dem Zusammenbruch», sagt Rich. Das zwang ihn schliesslich an den Verhandlungstisch. Im Oktober 1984 bekannten sich die Marc Rich + Co und die Marc Rich International der Steuerhinterziehung für schuldig, obwohl sie sich für unschuldig hielten. «Die Alternativen waren, sich schuldig zu bekennen – oder unterzugehen», sagt Richs damaliger Anwalt. Die Firmen verpflichteten sich in einem Vergleich, rund 200 Millionen Dollar zu bezahlen. (Rich selber wurde ein Vergleich verweigert, und er stand bis Januar 2001, bis er von Präsident Bill Clinton begnadigt wurde, auf der Fahndungsliste des FBI.)
Fatale Signale aus der Schweiz
Das sind die Lehren, die man aus dem Fall Rich ziehen kann: Marc Rich musste einlenken, damit er in den USA weiterhin Geschäfte machen konnte. Der Schweiz aber gelang es, ihre Souveränität zu verteidigen. Das erreichte der Bundesrat, indem er entschlossen handelte und von Anfang an kategorisch ausschloss, dass die USA Schweizer Gesetze umgehen konnten. Aus dieser Sicht war es ein fatales Signal, dass die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht im Februar der UBS auftrug, die Daten von 255 mutmasslichen Steuerbetrügern an die amerikanischen Steuerbehörden zu liefern – unter Umgehung des Rechtswegs.
Wenn die USA Beweise aus der Schweiz haben wollen, dann sollen sie Amts- oder Rechtshilfe beantragen; wenn die UBS amerikanische Gesetze verletzte (und danach sieht es aus), dann soll die Bank dafür geradestehen – aber nicht auf Kosten der Schweizer Rechtsordnung.