Sie versetzen Berge und bewegen die Preise an den Rohstoffmärkten der Welt. Die Manager von Glencore sind berüchtigt wegen ihrer Geschäftsmethoden. Das geheimnisvolle Handelshaus ist der größte Schweizer Konzern VON RALPH PÖHNER UND PEER TEUWSEN.
Ende Juni wurde das Aluminium knapp in Süd- und Südosteuropa. Der russische Aluminiumkonzern UC Rusal, die wichtigste Quelle für die Region, hatte seine Lieferungen eingestellt: Er war angeblich ausverkauft. Die Begründung klang absurd, Rusal ist schließlich der größte Aluminiumhersteller der Welt. Und die Metallproduzenten hatten bis dahin ein völlig anderes Problem: Autoindustrie am Boden, Wirtschaftskrise, Protektionismus der chinesischen Regierung – all dies hatte bewirkt, dass die Lagerhäuser brechend voll waren mit Aluminium, weltweit. Und jetzt das. Ausverkauft.
Die Erklärung fand sich in Zug, dem Tiefsteuerkanton im Zentrum der Schweiz. Dort sitzt das Handelshaus Glencore, und dieses hatte kurz zuvor die Gesamtproduktion, die Rusal bis in den Oktober hinein liefern kann, vom Markt gekauft. Mindestens 500 000, vielleicht sogar 800 000 oder 900 000 Tonnen Aluminium sollen dabei den Eigentümer gewechselt haben, so wird in der Branche geschätzt. Die Vertragsparteien sagen gar nichts dazu. Aber in den Grafiken, welche die Aluminiumpreise nachzeichnen, ist jetzt ein Knick sichtbar: Seit Juni stieg der Preis für Aluminium um rund 20 Prozent, nach einem Jahr fast stetigen Rückgangs. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, Glencore habe manipuliert. Man könnte sagen, Glencore habe spekuliert. Doch wer will, findet hier einen Beleg dafür, dass das Handelshaus die Rohstoffmärkte so gut versteht wie kein Unternehmen sonst. Denn seit dem russisch-schweizerischen Deal gab es ähnliche Knicks in weiteren Grafiken; bei Kupfer, Zink, Nickel, Blei stiegen die Preise ebenfalls, angeheizt von der weltweit keimenden Hoffnung, dass die Wirtschaftskrise bald durchgestanden sei. Glencore hat wohl den Aluminiumpreis gestützt – und das Timing war perfekt. Das Zuger Unternehmen hat mal wieder viel Geld verdient.
Glencore? Was klingt wie ein schottisches Schafzüchterdorf oder eine exotische Whiskysorte, ist ein riesengroßer Konzern. Wäre es ein deutsches Unternehmen, wäre Glencore der zweitgrößte Konzern hierzulande, mit einem Umsatz größer als der von BASF, Metro und der Deutschen Telekom: Für 105 Milliarden Euro verkaufte das Handelshaus im vergangenen Jahr Erdöl und Kupfer, Nickel und Blei, Weizen, Saatöl und Biodiesel. Es ist der größte unabhängige Erdölhändler, ihm gehören Bergwerke auf fünf Kontinenten, er hat strategische Beteiligungen an großen Verarbeitern (so eben auch knapp zehn Prozent an Rusal). Vermutlich wuchtet keine andere Organisation der Welt, weder die U. S. Army noch Walmart, solche Materialmassen um den Globus – Kohle, Zink, Kobalt, aber auch Zucker und Reis. Mit Agenten und Niederlassungen in 50 Städten weltweit hat Glencore seine Augen und Ohren in allen Minen, allen Häfen, allen Industriehallen, die für seinen Absatz wichtig sind.
Der Konzern ging aus dem Handelshaus Marc Richs hervor. So gesehen passt Glencore wunderbar in das Klischee, das viele Menschen vom Treiben an den internationalen Rohstoffmärkten haben: dass da geheimnisvolle Großmächte und Spekulanten den Handel steuern und die Preise nach ihrem Gutdünken bestimmen. So sehen das viele Leute, aber nachzuweisen ist das kaum. Große Banken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley und die Citigroup haben sich in den vergangenen Jahren auf den lukrativen Handel mit Öl und anderen Rohstoffen gestürzt; Indexfonds, Hedgefonds und andere haben das Geschäft entdeckt. Seit sie dies tun, haben die Preise für Öl oder bestimmte Metalle gewaltige Ausschläge erlebt. Aber ist das schon ein Beweis? Oder einfach nur ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang? In den USA jedenfalls hat sich die Regierung dazu entschlossen, im Zweifelsfall lieber Vorsicht walten zu lassen.
Die Aufsichtsbehörde für Rohstoffhandel CFTC, die bisher eher lasch mit Spekulanten umging, veröffentlichte im Sommer einen Bericht, demzufolge der Zusammenhang zwischen der Ölspekulation und den beobachteten Preisausschlägen sehr viel enger ist als bislang gedacht. Wissenschaftler und Forscher bei den Banken beeilten sich, die Ergebnisse anzuzweifeln, aber der von Barack Obama im März eingesetzte Behördenchef Gary Gensler will demnächst vorbeugend einschreiten, damit nicht, in seinen Worten, »eine Partei am Ende den halben Markt kontrolliert«. Glencore gehört nicht zu denen, die groß mit Derivaten handeln. Die Firma bewegt Preise, indem sie die physischen Güter kontrolliert, aber ihre Manager scheuen die Öffentlichkeit mindestens ebenso wie die Handelsspekulanten. Es gibt praktisch keine Interviews und öffentlichen Auftritte, keine Werbung, keine Stelleninserate. Investoren bekommen ein paar Zahlen vorgelegt, zum Beispiel, dass Glencore 2008 einen Reingewinn von 3,2 Milliarden Euro verbuchte. »Kommuniziert wird nur, wenn dies auch Vorteile bringt«, sagt ein Glencore-Manager.
Der stille Riese sitzt in Baar, einem Gewerbezonendorf bei Zug, und dort äußert er sein Understatement bereits im Bau: Glencore, das sind drei weiße Gebäudewürfel à drei bis fünf Stockwerke, die Scheiben getönt, ohne Logo auf dem Dach. Ein einsamer Wegweiser trennt Besucher von Lieferanten. Wer mal in der Firma war, erzählt von fehlenden Hinweistafeln, im Fahrstuhl gibt es keine Abteilungsschilder neben den Knöpfen. Auf den Visitenkarten der Glencore-Manager steht die Anschrift, niemals die Funktion. So auch beim Konzernchef, einem 52-jährigen Südafrikaner namens Ivan Glasenberg, der seine Karriere im Haus als Kohlehändler begann. Und auch beim 65-jährigen Aufsichtsratspräsidenten, einem früheren Metall-Trader, der aus Borken in Westfalen stammt: Willy Strothotte. Das sind die Eigenheiten einer Firma, die weder alteingesessener Familienbetrieb ist noch Börsenkonzern.
Glencore entstand vor fünfzehn Jahren und ging aus dem Handelshaus des legendären Marc Rich hervor. Rich wurde in den späten siebziger Jahren zur Legende und zur Hassfigur, weil er von der neutralen Schweiz aus politische Sanktionspläne des damaligen Westens gegen diverse Staaten durchkreuzte. Er handelte mit dem Revolutionsregime in Iran wie mit dem Apartheidregime in Südafrika, er kaufte der Sowjetunion Getreide, den Kubanern Zucker, den Libyern Rohöl ab. Das machte Rich zum Milliardär. Die USA jagten ihn fast zwei Jahrzehnte lang mit einem gemischten Team von FBI, Zoll, Finanz- und Steuerbehörden; der ehrgeizige New Yorker Staatsanwalt Rudy Giuliani verkündete 1983, der Mann in Zug könne für seine Taten 325 Jahre Gefängnis bekommen. Es kam anders. Kurz bevor er 2001 aus dem Amt schied, begnadigte Präsident Bill Clinton den Händler aus bis heute nicht geklärten Gründen. Zu der Zeit hatte Willy Strothotte schon das Handelshaus übernommen. Dieser Machtwechsel hatte mit einem fast zwei Jahre währenden Arbeitskampf in einem Aluminiumwerk in West Virginia begonnen, das zu wesentlichen Teilen Marc Rich gehörte. Das Management hatte die 1700 gewerkschaftlich organisierten Arbeiter entlassen und durch Zeitarbeiter ersetzt. Aber die Gewerkschaft United Steelworkers of America nahm den Kampf auf, einen Kampf, der sehr breites öffentliches Interesse fand. Strothotte, der damals Richs Interessen in den USA vertrat, musste nachgeben. Die Arbeiter wurden wieder eingestellt, das Management teilweise ausgewechselt. Im Nachgang zu dieser Niederlage stellte Strothotte intern die Führungsfrage, weil er spürte, dass die Tage des einst allmächtigen Rich gezählt waren: Der Mehrheitseigner war zu oft negativ in den Schlagzeilendas oberste Management der Marc Rich & Co. revoltierte gegen die Entlassung, einige gingen. Rich musste einlenken. Im Frühjahr 1993 holte er seinen ehemaligen Stellvertreter zurück und machte ihn zum Vorstandschef.
«Der Fall war sehr typisch für die Welt der Rohstoffhändler. Man bricht niemals alle Brücken ab», sagt der Schweizer Journalist Daniel Ammann, der in Kürze unter dem Titel The King of Oil die Biografie von Marc Rich veröffentlichen wird. «Weder Rich noch Strothotte waren sich zu schade, nach dem Krach wieder aufeinander zuzugehen.» Und doch blieb ein Riss. Marc Rich, zusätzlich angeschlagen vom Dauerdruck amerikanischer Bundesbehörden und einem Scheidungskampf, erklärte sich nur Monate später bereit, seine Firma schrittweise dem Management abzutreten. Im September 1994 wurde Marc Rich & Co. umgetauft in Glencore, acht Wochen später wechselte das letzte Aktienpaket den Besitzer.
Bis heute gehört die Firma ihren Managern, derzeit rund 450 an der Zahl. Nur wer Glencore verlässt, bekommt seine Aktien und Genussscheine ausbezahlt, doch auch dies frühestens ab Januar 2012, gestückelt über fünf Jahre. Knapp die Hälfte des Gewinns bleibt jeweils am Ende eines Geschäftsjahres im Unternehmen. Die Anteile der Aktionäre sind mehr als zehn Milliarden Euro wert. Allerdings sind sie sehr unterschiedlich verteilt. Das Vermögen des Aufsichtsratspräsidenten Willy Strothotte wird auf 2,3 Milliarden Euro geschätzt. »Die verwenden nicht viel Zeit für Aktionärsversammlungen, die verwenden ihre Zeit fürs Geschäft«, hat John Mack, Chef der US-Großbank Morgan Stanley, einmal über Glencore gesagt. »Sie können sich sehr schnell bewegen, mit null Bürokratie.« Wer dort anfängt, bleibt meist lange. Wer ganz nach oben will, muss unten einsteigen. An die Spitze gelangen keine Quereinsteiger.
Wer gut ist, macht rasch Karriere: Im Topmanagement sitzen viele Aufsteiger unter vierzig. Und so denkt man in dieser Firma nicht in Quartalen, nicht einmal in Jahresabschlüssen – man denkt langfristiger. Glencore will Marktmacht. Mit Schildkrötengeduld baut die Firma Positionen auf, die vielleicht in einer fernen Zukunft ihre Kontrolle über einen Rohstoff, eine commodity, verstärken könnten. Während sich Rohstoffhändler sonst meist nur mit Einkauf und Verkauf, Zwischenfinanzierung, Lagerung und Transport abgeben, besitzt Glencore obendrein Farmen, Sojamühlen und Bergwerke; vor allem aber erweitern die Schweizer ihren Einfluss, indem sie sich an börsennotierten Minenkonzernen beteiligen, bis ihre Stimme zählt. So geschehen beim russischen Ölproduzenten Russneft, beim australischen Kobalt- und Nickel-Konzern Minara, bei Century Aluminium, dem drittgrößten Aluminiumhersteller Nordamerikas, und seinem Konkurrenten Rusal aus Russland. Erst vor einem knappen Jahr, als der Kupferpreis so tief stand wie seit fünf Jahren nicht mehr, übernahm Glencore auch noch die Mehrheit an Katanga Mining – den Kupfer- und Kobaltminen des Kongo. Die wertvollste Investition aber ist sicherlich ein 35-Prozent-Anteil an Xstrata, jenem Bergbaukonzern, der momentan Aufsehen erregt mit seinem Versuch, den Konkurrenten Anglo American zu schlucken. Und wo sitzt Xstrata? In Zug, knapp drei Fahrkilometer von der Glencore-Zentrale entfernt. Glencore-Chef Glasenberg ist dort im Aufsichtsrat, Glencore-Präsident Strothotte ist der Chef des Kontrollgremiums.
»Es ist ein Riesenkrake«, sagt der Konzernchef eines andern Rohstoffhändlers. »Glencore macht alles: Herstellung, Finanzierung, Handel, Transport. Da wird nicht gekleckert, da wird immer gleich geklotzt.« Obwohl direkter Konkurrent, will der Mann nicht zitiert werden. »Man begegnet sich zu oft in dieser Zunft.« Und fallweise müssen eben auch Konkurrenten mit Glencore zusammenarbeiten, denn nur die Schweizer verschiffen regelmäßig die Massen, bei denen man gut ins Geschäft kommt mit einem Speditions- oder einem Energiekonzern. »Wenn dann eine Containerlinie mit denen verhandelt, wird sie gedrückt, bis sie erstickt«, beschreibt der Konkurrent die Wucht von Glencore. »Oder zumindest bis kurz davor.« Gleichzeitig steht das Unternehmen im Ruf, in jeder Beziehung sehr zuverlässig zu sein. Mit ihrem Gründer will die Firma nichts mehr zu tun haben Glencore-Leute selber beschreiben ihre Firma mit dem Satz: »Wir verstehen uns als Logistikunternehmen.«
Das ist korrekt und untertrieben zugleich. Untertrieben, weil die Logistikfirma faktisch überall auftritt, wo Geld zu verdienen ist, egal ob in Iran, in zerrütteten afrikanischen Staaten oder damals im Irak von Saddam Hussein. Zugleich beugt sich Glencore ungern den Interessen der US-Regierung oder den Anliegen von Menschen- und Bürgerrechtlern – eine Tradition, die auf den Unternehmensgründer zurückgeht. Offiziell will Glencore heute nichts mehr mit dem Gründer zu tun haben. Die Website unterschlägt Marc Rich vollständig, und einen seiner seltenen öffentlichen Auftritte nutzte Willy Strothotte im Jahr 2001 dazu, um in der Financial Times das Verhältnis zu Rich zu klären: »Eine Beziehung gibt es absolut nicht, zilch, zero, nada.« Andererseits pflegen die Nachfolger ebenfalls den Stil hartgesottener Händler. Auch sie scheinen eher am Deal als an der Moral interessiert, auch sie beurteilen politische Entwicklungen und Konflikte danach, welche Geschäftslücken sich dadurch auftun. Laut einem CIA-Report schmierte Glencore das Regime von Saddam Hussein mit 3,222 Millionen US-Dollar, um im Rahmen des Oil-for-Food-Programms zwischen 2000 und 2002 irakisches Öl exportieren zu können.
Insgesamt allerdings ist es in der gewandelten Welt schwieriger geworden, dass sich das Handelshaus als Sanktionsbrecher hervortun kann. Von Zeit zu Zeit scheint die Firma noch als Ärgernis für Nichtregierungsorganisationen auf, bietet sie Anlass zu Protesten wegen Umweltzerstörung oder schlechter Arbeitsbedingungen in Südamerika oder Afrika. Im Februar 2007 enteignete Boliviens Präsident Evo Morales eine Zinnhütte von Glencore mit dem Argument, beim Kauf sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. »Im Umweltbereich könnten sie mehr tun«, sagt Stephan Suhner. »Auch hat Glencore immer wieder versucht, eine gewerkschaftliche Organisation mit Zeitarbeitern zu umgehen.« Suhner leitet die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, die wegen einer Kohlemine in Nordkolumbien mehrfach gegen den Konzern vorging. »Sie unterstützen soziale Einrichtungen, aber sie sind zugleich knallhart: Wie arbeitgeberfreundlich die Gesetze in solch einem Land auch sind – Glencore reizt sie aus und zieht Urteile notfalls bis zur letzten Instanz weiter.« Das Unternehmen beantwortet derartige Vorwürfe üblicherweise mit dem Statement, dass die Mitarbeiter in jedem Land gehalten seien, sich an die Gesetze zu halten.
Ohne Zweifel ist Glencore heute ein Schlüsselunternehmen der Weltwirtschaft. Dabei hat das Unternehmen eine historische Regel überwunden, welche in der Rohstoff-Welt von den Fuggern bis zu Marc Rich gültig gewesen war – das patriarchalische Prinzip. Beendet ist die Herrschaft der Familie, abgeschafft die einzelne Führungsfigur; stattdessen gibt es einen sich selbst erneuernden Kreis von Profis, denen es ums Geschäft geht. Und um gar nichts sonst.